Beckenbodentraining
Ein kräftiger und gesunder Beckenboden bietet allen inneren Organen "Halt". Er kann unser Körpergefühl stärken, unsere aufrechte Haltung verbessern und einen positiven Einfluss auf unser sexuelles Erleben haben. Ein gesunder Beckenboden kann Kraftzentrum für den gesamten Körper sein.
Ist der Beckenboden aber nicht ausreichend trainiert, können verschiedene gesundheitliche Probleme auftreten. In der folgenden Liste sind die Bereiche aufgezählt, für die ein gezieltes Beckenbodentraining hilfreich sein kann.
Geschlecht | Bereich |
Frauen |
|
Männer |
|
beide |
|
Frauen dürfen in den ersten Tagen nach der Geburt nicht direkt mit der Beckenbodengymnastik beginnen. Der Damm bzw. der Beckenboden muss, insbesondere nach einem Dammschnitt, zunächst abheilen und sich von der starken Überdehnung erholen.
Männer haben häufig infolge einer Prostataoperation Inkontinenzprobleme. Während der Operation wird ein Teil des inneren Blasenschließmuskels durchtrennt. Der äußere Blasenschließmuskel kann die Funktion des inneren Schließmuskels ersetzen, so dass eine Inkontinenz verhindert werden kann. Das Training der Beckenbodenmuskulatur sollte schon vor der Operation begonnen werden. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Patienten die Übungen vor der Operation leichter erlernen und postoperativ direkt anwenden können.
Eine Funktionsverbesserung des Beckenbodens kann viele dieser Probleme erfolgreich lindern oder sogar verhindern. Wir möchten im Folgenden die wichtigsten Strukturen erklären, die zum Beckenboden gehören, funktionelle Zusammenhänge erläutern und einige Anleitungen zum "Selber-Üben" geben.
Anatomie des Beckenbodens
Der Beckenboden besteht im Wesentlichen aus drei Schichten:
- Die erste Schicht wird überwiegend aus glatten Muskelfasern (Muskulatur, die nicht willkürlich angespannt werden kann) und Bändern gebildet, die die inneren Organe im Bauchraum "aufhängen" bzw. abstützen und eine Verbindung zur Lendenwirbelsäule haben. Lageveränderungen von Organen (z.B. Gebärmutter, Prostata) können also auch Rückenschmerzen verursachen.
- Die zweite Schicht besteht aus willkürlich anzuspannenden Muskelfasern, die den Beckenboden wie eine Hängematte auskleiden. Sie heißt Diaphragma pelvis und wird in erster Linie von dem Musculus levator ani (Afterhebemuskel) gebildet. Die Muskelfasern ziehen von der Steißbeinspitze nach vorne und sind wie ein Fächer an beiden Beckenseiten befestigt. Die Fasern dieser Muskelgruppe haben beim Mann Kontakt zur Faszie der Prostata und bei der Frau zur Vaginalwand. Teile des Levator ani bilden den Sphincter ani (Afterschließmuskel), der den Anus umschließt.
- Die dritte, äußerste Schicht, das Diaphragma urogenitale, besteht aus mehreren willkürlich anzuspannenden Muskeln, die wiederum in zwei Schichten angeordnet sind und das Becken in erster Linie mit quer verlaufenden Fasern verschließen. Diese Schicht unterstützt die äußeren Schließmuskeln.
Die gesamte Beckenbodenmuskulatur wird von dem Nervus pudendus versorgt.
Beide Diaphragmen arbeiten mit dem Zwerchfell der Lunge (Diaphragma thoracolumbalis) zusammen. Dies macht deutlich, wie wichtig eine richtige Atemtechnik zur Unterstützung der Muskelkontraktion des Beckenbodens ist!
Funktion
Die Beckenbodenmuskulatur muss verschiedene Funktionen erfüllen.
- Der Beckenboden muss kräftig genug sein, um die Organe zu stützen und die Schließmuskulatur von Harnröhre und After zu unterstützen bzw. zu ersetzen.
- Der Beckenboden muss sich beim Stuhlgang, beim Wasserlassen und bei der Frau beim Geschlechtsverkehr und der Geburt öffnen können. Er muss also auch "loslassen" und sich entspannen können.
- Beim Heben schwerer Lasten und bei körperlicher Anstrengung muss der Beckenboden dem hohen Druck, der im Bauchraum entstehen kann, Stand halten.
- Sowohl die Diaphragmen als auch die Bänder, die die Organe im Bauchraum "aufhängen", haben Kontakt zum Steißbein und zur Wirbelsäule, so dass sich Haltungsfehler negativ auf die Spannung des Beckenbodens auswirken können.
Übungsteil
Die wichtigste Voraussetzung für eine erfolgreiche Beckenbodengymnastik ist die richtige Atemtechnik und die Fähigkeit, den Beckenboden wahrzunehmen und erst einmal isoliert anspannen zu können! Es ist daher wichtig, dass Sie die einzelnen Übungen Schritt für Schritt durchgehen und nicht etwa die Atemübungen übergehen.
1. Schritt
Atemübung - Die richtige Technik
Viele Menschen haben heutzutage aufgrund von Haltungsschwächen, zu enger Kleidung oder vielem Sitzen eine so genannte paradoxe Atembewegung. Sie ziehen bei der Einatmung den Bauch ein und heben den Brustkorb. Der erste Schritt besteht daher darin, sich der richtigen Atmung bewusst zu werden.
- Legen Sie sich in einer ruhigen und entspannten Atmosphäre bequem auf den Rücken. Stellen Sie die Beine leicht gegrätscht an, damit sich Ihre Bauchdecke völlig entspannen kann. Legen Sie beide Hände locker auf den Bauch und atmen Sie gleichmäßig ein und aus. Spüren Sie nach, wie sich bei der Einatmung die Bauchdecke leicht hebt und bei der Ausatmung senkt.
- Stellen Sie sich vor, dass Ihr Bauchraum von innen mit einem Luftballon ausgekleidet ist. Sie füllen bei der Einatmung den Luftballon mit Luft. Er weitet sich in alle Richtungen aus. Dies hat zur Folge, dass sich der Bauch hebt und in alle Richtungen weit wird (wenn Sie dies beachten, wird sich der Beckenboden dabei nach unten in Richtung der Beine bewegen).
- Stellen Sie sich nun vor, dass bei der Ausatmung die Luft aus dem Luftballon entweicht. Die Bauchdecke zieht sich ein, die Seiten werden schmal und der Beckenboden zieht sich wieder in den Bauchraum zurück.
- Verstärken Sie die Ausatmung nun, indem Sie die Luft stoßweise auf den Laut "P" ausatmen. Das Atmen auf den Laut "P" führt zu einer reflektorischen Anspannung der Beckenbodenmuskulatur.
Nehmen Sie sich Zeit für die Erarbeitung der richtigen Atemtechnik. Fahren Sie mit den Übungen erst fort, wenn Sie alle Atembewegungen nachgespürt haben und richtig ausführen können. Vielleicht haben Sie bei den Atemübungen schon das erste Mal die Bewegungen Ihres Beckenbodens gespürt.
2. Schritt
Übung zur Wahrnehmung des Beckenbodens
Am einfachsten ist es, die Anspannung des Beckenbodens durch Ertasten zu überprüfen.
Frauen können die Anspannung am deutlichsten im Bereich des Damms, also der Region zwischen Scheide und After, ertasten.
Männer ertasten die Anspannung der Beckenbodenmuskulatur am besten oben an der Peniswurzel oder auch im Bereich des Dammes, also zwischen Hodensack und After.
Behalten Sie die gleiche Ausgangsstellung wie bei den Atemübungen bei und versuchen Sie, während eine Hand den Damm berührt, unterschiedliche Anspannungsvarianten. Wichtig ist, dass bei allen Übungen die Gesäßmuskulatur und die Oberschenkelmuskulatur entspannt sind. Überprüfen Sie dies mit der anderen Hand.
Anspannungsvarianten
- Versuchen Sie, Scheide/Penis und After einander anzunähern. Bei dieser Übung zieht sich der Beckenboden in den Bauch hinein.
- Versuchen Sie, das Schambein und das Steißbein zusammenzuführen.
- Versuchen Sie, beide Sitzbeinhöcker zusammenzuführen. Achten Sie darauf, nicht die Pobacken anzuspannen.
- Versuchen Sie, nur den After zusammenzuziehen.
- Stellen Sie sich vor, den Urin anhalten zu müssen, oder eine Blähung verhindern zu wollen.
Erst wenn Sie das Gefühl haben, Ihren Beckenboden willentlich anspannen und locker lassen zu können, sollten Sie die folgenden Übungen durchführen. Frauen haben zusätzlich die Möglichkeit, zwei Finger in die Scheide einzuführen und darüber die Spannkraft Ihrer Beckenbodenmuskulatur zu prüfen.
3. Schritt
Übungen für den Beckenboden - Qualität vor Quantität
Alle Übungen werden zunächst in Rückenlage durchgeführt. Am Anfang liegen die Beine erhöht, z.B. auf einem Hocker, das Becken ist mit einer gefalteten Decke unterlagert. Diese Hochlagerung führt zu einer Entlastung des Beckenbodens und die Übungen können leichter durchgeführt werden. Mit zunehmender Erfahrung wird die Lagerung reduziert bis zur flachen Rückenlage. Alle Übungen können später auch im Vierfüßlerstand, im Sitz oder im Stand durchgeführt werden.
Die Ruhezeiten zwischen den Übungen müssen immer länger sein, als die Übung selbst (Übungszeit 7-10 Sekunden). Wählen Sie aus, welche der oben besprochenen Wahrnehmungshilfen Ihnen am angenehmsten ist. Entscheidend ist vor allen Dingen die Stärke der Kontraktion, nicht die Dauer der einzelnen Übungen.
- Verbinden Sie jede Anspannung des Beckenbodens mit Ihrer Ausatmung. Halten Sie die Anspannung während der Ausatmung und lösen Sie sie während der Einatmung. Spannen Sie bei jeder dritten Ausatmung Ihren Beckenboden an.
- Spannen Sie nun gleichzeitig die Beckenbodenmuskulatur und ihre Bauchmuskulatur an. Um die Bauchmuskulatur anzuspannen, stellen Sie sich vor, dass sich Ihr Rippenbogen und Ihr Becken einander annähern wollen oder dass Sie Ihren Nabel in den Bauch hineinziehen möchten. Atmen Sie während der Anspannung langsam aus.
- Die Beckenbodenspannung kann mit unterschiedlichen Vorstellungshilfen verstärkt werden. Versuchen Sie den Beckenboden, also Scheide und After, nach innen in den Bauchraum zu ziehen. Stellen Sie sich vor, dass Ihr Beckenboden ein Fahrstuhl ist, der langsam nach oben in den Bauch fährt. Wenn Sie den Beckenboden entspannen, stellen Sie sich vor, dass der Fahrstuhl langsam wieder nach unten fährt. Sowohl das Anspannen als auch das Entspannen werden also schrittweise durchgeführt, ähnlich einem Fahrstuhl, der auf jeder Etage anhält.
- Einige Muskelfasern des Beckenbodens bezeichnet man als schnelle Muskelfasern. Sie werden über kurze Kontraktionen trainiert. Spannen Sie hierzu Ihren Beckenboden in kurzen kräftigen Intervallen an. Sie können sich dabei vorstellen, Rosinen oder andere kleine Gegenstände mit Ihrer Scheide aufheben zu wollen. (Mit ein bisschen Phantasie gelingt dies auch den Männern.)
Versuchen Sie, diese Übungen am Anfang täglich durchzuführen. Es reichen jeweils schon ein paar Minuten. Achten Sie darauf, Ihren Bauch nur so stark anzuspannen, wie Ihr Beckenboden angespannt ist. Ein zu hoher Druck der Bauchdecke ohne Gegenhalt durch den Beckenboden könnte eine Senkung der inneren Organe begünstigen. Später sollten Sie lernen, die Beckenbodenspannung in alle körperlichen Aktivitäten ihres Alltags einzubeziehen. Hierzu noch einige "Alltagstipps":
Verändertes Alltagsverhalten
- Achten Sie beim Aufstehen aus dem Bett darauf, über die Seite aufzustehen.
- Spannen Sie beim Husten oder Niesen immer Ihren Beckenboden an.
- Heben Sie keine schweren Gegenstände. Wenn Sie etwas heben müssen, achten Sie auf Ihren geraden Rücken und spannen Sie ihre Beckenboden- und Bauchmuskulatur an. Atmen Sie während des Hebens immer durch die leicht aufeinander gelegten Lippen aus. Lassen Sie Ihren Atem dabei "fließen". Vermeiden Sie es zu pressen.
- Vermeiden Sie langes Stehen. Arbeiten Sie lieber im Sitzen oder unterbrechen Sie das Stehen durch ein kurzes Gehen.
- Entlasten Sie Ihren Beckenboden, indem Sie sich tagsüber zwischendurch kurz auf den Rücken legen und Ihr Becken und Ihre Beine etwas hoch lagern.